Tesla und die starken Werkstätten

Elektromobilität in Norwegen

Tesla und die starken Werkstätten

17. Mai 2023 agvs-upsa.ch – 20 Prozent beträgt der Anteil an reinen Elektrofahrzeugen in Norwegen und der Tesla Model Y ist das mit Abstand meistverkaufte Automodell. Was nach einem Schreckensszenario für Garagen und Werkstätten tönt, scheint in der Realität gut zu funktionieren. Wir unterhielten uns mit einem führenden norwegischen Branchenkenner.

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Eindrücklich: Rund ein Fünftel der Fahrzeuge auf Norwegens Strassen sind Elektrofahrzeuge – bei den Neuzulassungen sind es derzeit gar über 90 Prozent!. Foto: AGVS-Medien

srh. Norwegen ist der Schweiz bei der E-Mobilität um rund sechs Jahre voraus. Das behauptete Peter Bardenfleth-Hansen anlässlich des ersten Lade-Forums der Electrosuisse-Fachgesellschaft E-Mobile (siehe AI 4/23). Gleichzeitig behauptete Donato Bochicchio, Managing Director von Ford Schweiz und Vizepräsiddent von Auto-Schweiz, im Interview mit AUTOINSIDE (AI 3/23), dass die norwegischen Werkstätten den markanten Werkstattumsatzrückgang kompensiert hätten: «Sie schafften das dank Reifen, Bremsen, Parkschäden und weil E-Mobilitätskunden mehr Geld für Zusatzleistungen ausgeben.»

Was heisst dies konkret? Im Jahr 2022 waren knapp 80 Prozent aller neu zugelassenen PW in Norwegen rein batterieelektrische Fahrzeuge (BEV). In der Gesamtflotte von 2,9 Millionen Fahrzeugen macht ihr Anteil 550 000 Stück aus, das sind bereits knapp 20 Prozent. Und es geht im gleichen Stil weiter: Nach zwei schwachen ersten Monaten im Jahr 2023 hat sich das Tempo der BEV-Neuzulassungen im März wieder erhöht. Besonders bemerkenswert: Mit fast 90 Prozent war der Anteil an reinen Elektrofahrzeugen noch nie so hoch wie im März. Gleichzeitig war der Anteil an Benzinern mit etwas mehr als einem Prozent noch nie so tief. Dabei sind per 1. Januar 2023 die grossen Steuervorteile weggefallen, die massgeblichen Anteil am E-Auto-Boom in Norwegen hatten.

Vor allem Teslas Model Y ist in Norwegen gefragt. Jedes dritte neu zugelassene E-Auto war ein Tesla Y. Und diese Tendenz dürfte eher steigen, da der amerikanische Autobauer zum Jahresauftakt die Preise um gleich 20 Prozent nach unten gedrückt hat. «Zu Beginn des neuen Jahres dachte jeder, dass es einen Preisschock in Form von höheren Preisen geben würde, stattdessen gab es einen Preiskrieg. Das sind nun tiefere Preise, die bleiben werden», erklärt Atle Tuverud, Chefredaktor des Nachrichtendiensts Bilnytt.no, dem führenden Branchenportal in Norwegen.
 





Atle Tuverud, Chefredaktor von Bilnytt.no, ist einer der profundesten Kenner und Experten des norwegischen Autogewerbes. Foto: Bilnytt.no



Wie haben nun die norwegischen Werkstätten auf das veränderte Umfeld reagiert? AUTOINSIDE hat bei Atle Tuverud nachgefragt. Herr Tuverud, wie hat sich der Werkstattbereich in Norwegen verändert?
Atle Tuverud (Chefredaktor von Bilnytt.no): Abgesehen von der Tatsache, dass die Werkstätten mit neuen Kompetenzen und neuen Investitionen arbeiten müssen, ist die Branche weitgehend gleichgeblieben.

Es heisst, dass die norwegischen  Werkstätten den Wandel sehr gut bewältigen. Wie haben sie das geschafft?
Ihnen hat vermutlich die Tatsache geholfen, dass der Automarkt in Norwegen während der gesamten Umstellungsphase seit dem Frühjahr 2020 auf Hochtouren läuft: Rekorde sowohl auf dem Neuwagen- als auch auf dem Gebrauchtwagen- und Servicemarkt. Hohe Stückzahlen und grosse Fahrzeugflotten halfen zusätzlich. Viele Familien sind von zwei auf drei Autos umgestiegen und haben das Auto mit Verbrennungsmotor gar nicht erst verkauft.

Wie gehen die norwegischen Werkstätten mit der steigenden Elektrifizierung der Flotte um?
Es sieht derzeit nicht so aus, als ob die Autowerkstätten bisher unter einem Ertragseinbruch im Zusammenhang mit Elektroautos stehen. Im Moment ist es aber auch so, dass immer noch acht von zehn Autos auf den Strassen mit fossilen Treibstoffen angetrieben werden. Der Markt wird wahrscheinlich immer härter werden und einige derjenigen Ga-ragen, die nicht bereit sind, sich anzupassen, werden mit der Zeit verschwinden.

Hat sich die Werkstattlandschaft verändert?
Überraschenderweise hat sich die Werkstattbranche bisher nur wenig verändert. Die Struktur ist dieselbe: Bis zum Alter von fünf Jahren kümmern sich die Markenhändler um die Autos, danach übernehmen die freien Werkstätten den Grossteil. Die Zahl der Garagen insgesamt hat sich eigentlich nicht verändert. Es gibt wohl einige Markenhändler, die es geschafft haben, den Kunden stärker an sich zu binden, wenn das Elektroauto älter wird, weil der Kunde glaubt, dass das Elektroauto in die offizielle Markenwerkstatt muss. Aber das wird sich wahrscheinlich auch wieder ändern.

Sind die verschiedenen Marken weniger stark vertreten?
Nein, ganz im Gegenteil! Es gab noch nie so viele Automarken in Norwegen wie jetzt. Es gibt mehr als 15 neue Automarken – und weitere planen bereits den Markteintritt. Es gibt keine Automarken, die verschwunden sind, obwohl einige ohne Elektroautos im Portfolio einen sehr geringen Marktanteil hatten. Mitsubishi etwa plant jetzt ein Comeback auf dem norwegischen Markt. Viele der traditionellen Automarken haben sich ihren Weg in den Markt gebahnt, selbst bei den geringen Stückzahlen in einem so kleinen Land wie Norwegen. Die Markenhändler haben sich zunehmend mehr Marken zu eigen gemacht. Händlerkonzerne, die vor einigen Jahren noch zwei bis drei Automarken hatten, haben jetzt über zehn Automarken im Portfolio!

In welche Richtung geht die Entwicklung bei den Werkstätten?
Alle konzentrieren sich darauf, ihre Kompetenz in Sachen E-Fahrzeuge auszubauen und die Tatsache zu vermarkten, dass sie über E-Fahrzeuge verfügen. Die unabhängigen Werkstattketten und -konzepte investieren stark in Elektroautos und in den Ausbau der Kompetenz ihrer Mitgliedswerkstätten, um keine Marktanteile zu verlieren. Kürzlich waren Pehr Oscarson, CEO von Meko, und Petra Bendelin, COO von Meko, in Brüssel, um zu erläutern, wie ihre Werkstattketten – in Norwegen sind dies Mekonomen, Meca und Bilxtra – jetzt eine Poleposition bei Elektroautos anstreben. Viele Garagen wollen in die Fähigkeit investieren, grosse Aufträge wie den Austausch von Batterien am eigenen Standort zu erledigen, anstatt diese Art von Werkstattarbeit auszulagern.

Wirkt sich die Elektrifizierung auch auf junge Fachkräfte aus? Ist es einfacher oder schwieriger, junge Fachkräfte für den Beruf zu begeistern?
Das norwegische Automobilgewerbe hofft, dass es dank Elektroautos einfacher wird, Frauen für die Branche zu gewinnen. Es hofft auch, mehr «Techies» anstelle von «Mechies» zu rekrutieren. Aber es dürfte wahrscheinlich etwas langsamer gehen als von der Branche erhofft, das Auto als Computer auf Rädern zu vermarkten und weg vom Image der an-strengenden Jobs mit Ölflecken zu kommen. Aber die Elektroautos haben dazu geführt, dass sich das norwegische Autogewerbe voll und ganz darauf konzentriert, sich als eine Branche zu vermarkten, in der Nachhaltigkeit im Mittelpunkt steht. Im Laufe der Zeit haben sich die Anzahl und auch die Betätigungsfelder der Frauen in der Branche deutlich erhöht.

Welche Art von Arbeit gibt es in den Werkstätten rund um Elektroautos?
Es wird bekanntlich in den Werkstätten deutlich weniger Arbeit an neuen Elektroautos geben. Da Norwegen eines der ersten Länder mit grossem Volumen an E-Autos war, ist das Geschäft trotzdem recht gut gelaufen. Es gab viele Rückrufaktionen und Garantiearbeiten an den neuen Elektroautos, die noch nicht «fertig» aber eben doch schon auf der Strasse waren. Obwohl Garantiearbeiten nicht immer gut bezahlt werden, haben viele Markenhändler dank eines grossen Volumens an Werkstatt-arbeiten sowie Software-Updates profitiert, die bisher nicht «Over the Air» realisierbar waren. Die Zukunft sieht jedoch nicht gleich rosig aus.

So berichten Händler, die seit 2011 den Nissan Leaf verkaufen, von einem dramatischen Rückgang der Servicearbeiten. Sie gehören nun zu den Händlern, die in eine wachsende Zahl von Automarken investiert haben, um diesen Rückgang zu kompensieren. Sie investieren auch in Reifenhotels, Autoscheibenarbeiten, Carrosseriearbeiten/Lackierungen und nicht zuletzt in ältere Gebrauchtwagen und Second-Hand-Importe, um den Umsatz zu steigern.

Norwegen ist bekannt für seine hohe Tesla-Dichte. Wie geht es dem Werkstattgeschäft mit dieser Marke?
Nach grossen, anfänglichen Schwierigkeiten, Kapazitätsproblemen und Kundenbeschwerden ist Tesla deutlich gewachsen und hat stark in Werkstätten investiert. Sie managen jetzt eine sehr grosse Flotte von Autos ohne grosse Probleme selbst. Wir von Bilnytt.no ha-ben zudem soeben erfahren, dass Tesla mit der Schadensbehebung/Lackierung in eigener Regie beginnen will. Bislang wurden diese Arbeiten an andere, autorisierte Händler ausgelagert. Das wird wohl auch so bleiben, obwohl Tesla bekanntlich einen möglichst grossen Teil der Wertschöpfungskette selbst kontrollieren möchte.

Seit diesem Jahr fallen die grossen Steuervorteile – und damit die finanzielle Unterstützung – für E-Autos weg. Wie wird dies Ihrer Meinung nach den Absatz von Elektroautos beeinflussen?
Die Autoverkäufe sind nach zwei sehr guten Jahren rückläufig, aber der Anteil der Elektroautos steigt weiter auf 80 Prozent und noch höher. In Norwegen ist es schlicht zu teuer, ein mit fossilen Treibstoffen betriebenes Auto zu kaufen. Allerdings sind die Margen des Autogewerbes bei Neuwagen stark rückläufig, was auf die schwache Kaufkraft, den von Tesla lancierten Preiskampf, die Steuern generell und die hohe Mehrwertsteuer zurückzuführen ist.

Zum Schluss noch ein Tipp von Ihnen an die Schweizer Garagisten: Was ist  wichtig, um als Werkstatt in der  E-Auto-Ära erfolgreich zu sein?
Sorgen Sie dafür, dass Sie keine Kunden verlieren. Halten Sie das Volumen hoch! Das bedeutet, immer auf dem neuesten Stand zu sein und Fachwissen über Elektroautos zu besitzen. Erweitern Sie, wenn möglich, das Angebot mit Reifenhotels, Arbeiten an Autoscheiben, Autopflege und anderen Dienstleistungen, um Kunden zu binden und den Umsatz zu halten.
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