«Die Strasse holt nach, was die Schiene schon hat»

NAF: Interview mit Astra-Direktor

«Die Strasse holt nach, was die Schiene schon hat»

15. Dezember 2016 agvs-upsa.ch - Am 12. Februar 2017 stimmt die Schweiz über den Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrs-Fonds (NAF) ab. Jürg Röthlisberger, Direktor des Bundesamtes für Strassen ASTRA, fordert gleich lange Spiesse für Strasse und Schiene.

Herr, Röthlisberger, erst vor einem halben Jahr haben 70 Prozent des Volkes und alle Stände die sogenannte Milchkuh-Initiative abgelehnt. Die Gegner des NAF sagen heute, dieser Fonds sei eine «halbe Milchkuh».
Jürg Röthlisberger: Und wo liegt das Problem? Der NAF ist beinahe eine halbe Milchkuh, weil es sie braucht. Der Punkt ist, dass unsere Nationalstrassen kein Highway-System sind wie beispielsweise in Nordamerika, sondern ein Drainage-System der Städte und Agglomerationen. Wir haben auf über 1800 km Autobahn 440 Anschlüsse, also einen alle vier Kilometer. Das ist absoluter Weltrekord! Aber das System ist ins Stocken geraten und sehr fehleranfällig. Wir sehen das jeden Abend: Sie kommen nicht mehr aus den Städten raus, sei es nun Luzern oder Zürich, Genf oder Lausanne. Wir haben somit ein Gut verloren, in das unsere Kunden, die Strassenbenutzer, seit 1960 insgesamt 100 Milliarden Franken investiert haben: die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit der Reisezeit. Der NAF ermöglicht uns Investitionen in die Autobahnen und speziell Kapazitätserweiterungen und hilft den Agglomerationen und Städten, die auf die Drainage-Wirkung der Nationalstrassen angewiesen sind.

Was unterscheidet den NAF von der Milchkuh?
Die Milchkuh war kein austariertes System wie der NAF. Sie hätte tatsächlich eine Lücke von 1,5 Milliarden Franken im Jahr in die Bundeskasse gerissen. Mit dem NAF sprechen wir noch von bis zu 650 Millionen Franken pro Jahr. Dies sind keine Steuergelder, sondern Strassengelder, die bislang in die Bundeskasse geflossen sind und nun der Strasse zu Gute kommen.

Das Parlament hat lange gerungen, bis der NAF stand. Ist das jetzt die beste Lösung oder einfach ein gut eidgenössischer Kompromiss?
Es ist die richtige Antwort auf viele Fragen. Die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben öffnet sich stetig: Der Unterhalt wird teurer, weil die Nationalstrassen altern. So ist zum Beispiel die Hälfte unserer rund 3500 Brücken heute 50-jährig und älter. Gleichzeitig sinken die Verbrauchszahlen der Fahrzeuge; das ist ökologisch sinnvoll, wird aber in der Finanzierung zum Problem, weil sich diese über die Mineralölsteuer und den Mineralölsteuerzuschlag auf den Verbrauch stützt. Die Finanzierung unserer Strasseninfrastruktur ist heute nicht gesichert, sie ist zudem sehr kompliziert und intransparent. Und sie hat unschöne systematische Fehler.

Zum Beispiel?
Wenn ich bei einer Ausschreibung eine Arbeit günstiger erhalte, als budgetiert, dann fliesst dieses Geld einfach an die Bundeskasse; der Automobilist hat nichts davon. Das ist bei der Schiene nicht so. Sie hat bereits einen Infrastruktur-Fonds. Die Strasse holt jetzt nach, was die Schiene schon hat. Diese Gleichbehandlung der Verkehrsträger ist ein wesentliches Argument für den NAF.

Was passiert, wenn der NAF abgelehnt wird?
Wir haben heute einen Kostendeckel für die Engpassbeseitigung von 5,5 Milliarden Franken. Hier bringen wir nur die ganz dringenden Projekte unter, aber keine vierte Röhre am Baregg und nicht die ganze Stadtumfahrung Genf. Wenn der NAF nicht kommt, wird sich die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben weiter öffnen und wir werden priorisieren müssen. Die Prioritäten sind klar: Erstens betrieblicher Unterhalt, also tägliche Verfügbarkeit, zweitens baulicher Unterhalt, also langfristige Verfügbarkeit, und erst dann käme der Kapazitätsausbau. Fakt ist, wenn wir die gesicherte Finanzierung nicht erhalten, dann werden wir recht schnell nur noch betreiben und unterhalten – und mit der Zeit dies auch nur noch ungenügend.

Mit dem NAF wollen Sie Engpässe beseitigen, indem Sie mehr Spuren bauen. Würden nicht auch intelligentere Verkehrssysteme helfen?
Es geht nicht ohne mehr Verkehrsfläche, das ist unbestritten. Doch wir müssen auch lernen, besser zu nutzen, was wir schon haben. Wir werden in den nächsten Jahren 170 Kilometer Pannenstreifen umnutzen. Weiter gibt es Möglichkeiten im Verkehrsleitsystem. Ich denke hier an Tropfenzähler-Systeme oder Geschwindigkeitsharmonisierung - Tempo 100 oder 90 in Spitzenzeiten - und dann hoffen wir natürlich auch auf die Intelligenz der Mobilität: auf autonome oder teilautonome Fahrzeuge, die uns erlauben, die Abstände zu reduzieren.

Mobility Pricing ist kein Thema?
Das ist eine Idee, um die Verkehrsspitzen zu brechen. Aber es gibt dabei eine nicht verhandelbare Prämisse: Es muss verkehrsträgerübergreifend sein – also kein Road Pricing, sondern Mobility Pricing! Heute haben Autos in der Schweiz einen Belegungsgrad von lediglich 1,1 Personen in den Spitzenzeiten. Hier ist der öffentliche Verkehr besser. Er rechnet in belegten Sitzplätzen und kommt in den Spitzenzeiten teilweise auf eine Auslastung von über 100 Prozent. Wir sprechen von Stau und Engpässen auf den Strassen und vergessen dabei, dass es pro Fahrzeug noch 2,5 bis 3 freie Sitzplätze hat. Unsere Anstrengung muss auch in die Richtung gehen, diesen Belegungsgrad in den Spitzenzeiten zu steigern. Hier hoffe ich auf die Sharing- und Pooling-Plattformen und hier kann Mobility Pricing Anreize setzen. Wir lieben unsere Kunden, wir sind Strassenfans und Autofreaks, aber: Wenn wir das bleiben wollen, dann müssen wir die eigenen Schwächen erkennen. Und diese 1,1 Leute pro Fahrzeug in den Spitzenzeiten sind zu wenig.

Das Problem dabei ist, dass ich wahnsinnig gerne alleine im Auto sitze. Hier habe ich meine Musik, es redet mir niemand drein. Das ist ein bisschen Freiheit…
Das ist ein wichtiger Punkt. Es läuft auch auf einer emotionalen Ebene ab. Trotz dem Hype um intelligente Mobilität und autonomes Fahren müssen wir erkennen, dass immer selbst gefahren werden wird. Was wir vom ASTRA sagen wollen, ist nur dies: Lebe doch deine Freude am Fahren und am Fahrzeug nicht unbedingt auch am Morgen zwischen 6.00 und 8.00 Uhr aus! Das ist alles.



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