«Chancengleichheit für alle Marktteilnehmer sieht anders aus»

Fahrzeugdaten

«Chancengleichheit für alle Marktteilnehmer sieht anders aus»

14. Juli agvs-upsa.ch – Der Zugriff auf alle nötigen Daten für die Reparatur eines Fahrzeugs wird von Herstellern zunehmend eingeschränkt. Für markenunabhängige Garagisten wird das zur Herausforderung. Zulieferer wollen dem Abhilfe schaffen – und gehen noch einen Schritt weiter: Ihr Ziel ist es, umfassenden Zugriff auf jene Daten zu bekommen, die das Auto während der Fahrt sammelt.

artikelbilddatenzugriff.jpg
Quelle: Shutterstock


kro. Wie zufriedenstellend ist heute der Zugang zu Daten für den Unterhalt und die Reparatur für markenunabhängige Garagisten gelöst? 
Sébastien Moix, Marketing Direktor der SAG: Derzeit stehen unabhängigen Werkstätten verschiedene Quellen für technische Daten zur Wartung und Reparatur von Fahrzeugen zur Verfügung. Bei SAG arbeiten wir seit mehreren Jahren mit Haynes Pro zusammen und die technischen Daten von Haynes Pro sind über Webservice von unseren verschiedenen Webshops aus verfügbar.

Wo liegen hier die grössten Herausforderungen für die Anbieter von Geräten und Software? Und wo für die Anwender? 
Die grössten Herausforderungen liegen im Bereich der Diagnose. Immer mehr Fahrzeughersteller wie zum Beispiel FCA, VAG, Volvo oder Tesla, schränken den Diagnosezugang zu ihren Fahrzeugen ein. Meist können Fehlerspeicher nur gelesen und Fehler noch nicht einmal mehr direkt gelöscht werden. Mehr Zugriff haben freie Werkstätten nur noch mit digitalen Zertifikaten, die von den Herstellern mit unterschiedlichen Bezahl- und Abrechnungsmodalitäten bezogen werden müssen. Die Nachteile sind klar: Für freie Werkstätten entstehen zusätzliche Kosten, um einen Diagnosezugang zu erhalten, oft verbunden mit einem hohen Verwaltungsaufwand, weil jeder Hersteller einen anderen, meist komplizierten Prozess für die Anmeldung verwendet. Und das kann letztlich zu einer deutlichen Verteuerung von Werkstattarbeiten für Endkunden führen, wenn selbst für Arbeiten wie das Zurücksetzen der Serviceanzeige, Übertragung ins digitale OE-Serviceheft, Kalibrierung von gewissen Fahrerassistenzsystemen, Austausch von Scheinwerfern oder das Nachrüsten von Zubehör wie Anhängerkupplung, eine Codierung oder Freischaltung via OE-Server erforderlich ist.

Was kann ein Zulieferer wie Sie konkret tun, um ihren Kunden hier das Leben zu vereinfachen? 
Als direktes oder indirektes Mitglied mehrerer Verbände unterstützen wir die Lobbyarbeit, die unternommen wird, um die Interessen der freien Werkstätten bei den Gesetzgebern in der Schweiz und in Europa zu vertreten. Und als Partner in Projekten wie Caruso beteiligen wir uns an der Entwicklung konkreter Lösungen.

Existiert heute ausserhalb einer Markenvertretung eigentlich bereits ein «uneingeschränkter» Zugang zu allen für die Fahrzeugreparatur nötigen Fahrzeugdaten? 
Dank neuer Dienstleistungen wie Remote Services, also Ferndiagnose, bieten wir eine Möglichkeit, per Fernzugriff ausgewählte Diagnosefunktionen durchführen zu lassen. Diese Unterstützung garantiert den Werkstätten, dem Druck steigender Komplexität und Anzahl an Fahrzeugmodellen standzuhalten. Remote Services verkürzen die Zeitspanne zwischen dem Marktstart eines neuen Fahrzeugs und dem Zeitpunkt der Funktions-Verfügbarkeit im Diagnosegerät, zum Beispiel bei der Kalibrierung von Fahrerassistenzsystemen. Darüber hinaus profitieren Werkstätten von Funktionen, die bisher ausschliesslich Kunden mit OEM-Diagnosetools vorbehalten waren. Die Anfahrts- und Wartezeit bei der Markenvertretung sowie die damit verbundenen Kosten entfallen.

War der Widerstand der Hersteller gegen einen uneingeschränkten Datenzugang für alle wettbewerbsrechtlich nie ein Thema? 
Das war es tatsächlich. Die Datenhoheit liegt derzeit bei den Fahrzeugherstellern. Welche Fahrzeugdaten ein Marktteilnehmer erhält und wie einfach oder schwierig sich dieses Verfahren gestaltet, handhabt jeder Automobilhersteller nach seinem Dafürhalten. Chancengleichheit für alle – auch markenunabhängige – Marktteilnehmer sieht anders aus.
 
«Caruso Dataplace» ist ein Projekt, das eine neutrale Datenplattform erschaffen möchte, in die Unternehmen des unabhängigen Aftermarket Fahrzeugdaten einspeisen. Was genau sind das für Daten, die Sie sammeln bzw. einspeisen möchten, wer soll darauf Zugriff haben und was für Geschäftsmodelle könnten das sein, die auf Basis solcher Daten aufgebaut werden? 
Mithilfe der Fahrzeugdaten lässt sich eine breite Palette an Services mit einem hohen Nutzwert für die Benutzer wie für den Garagisten ableiten. Ein Beispiel: Sie liefern präzise Grundlageninformationen, die für einen Service relevant sind. Der Garagist weiss schlicht und einfach mehr über das Auto. Das erleichtert seine Arbeit und verbessert seine Stellung gegenüber seinem Kunden zusätzlich.
 
Swiss Automotive Show (SAS) am 26. und 27. August 2022 in Freiburg 
Mehr Informationen gibt es hier.
Projekt «Caruso Dataplace» 
 
Der Allgemeine Deutsche Automobil-Club (ADAC) hat im Frühling 2022 in einer Untersuchung zusammen mit unabhängigen Experten erhoben, was für Daten ein modernes Auto während der Fahrt sammelt, die direkt an den jeweiligen Hersteller geschickt werden und auf die weder Kundinnen und Kunden noch die Garagisten Zugriff haben. Diese Daten erlauben Rückschlüsse auf das Nutzungsprofil, die Intensität der Nutzung, die Anzahl Fahrer und auch den Fahrstil. Solche Datensätze umfassen zum Beispiel: 
 
Getrennte Speicherung der gefahrenen Kilometer auf Autobahn, Landstrasse und in der Stadt 
Anzahl der einzelnen Fahrstrecken, aufgeschlüsselt nach Kilometern 
Einsatzdaten des Verbrenners bei Plug-in-Hybriden 
Regelmässige GPS-Daten mit Statusbericht wichtiger Fahrzeugdaten 
Zahl der elektromotorischen Gurtstraffungen (Fahrstil) 
Einträge für zu hohe Motordrehzahl 
Dauer der verschiedenen Modi des Automatikgetriebes (z. B. «Sport») 
Zahl der Verstellvorgänge des elektrisch verstellbaren Fahrersitzes 
Dauer und Zeitpunkt geführter Telefongespräche 
 
Im Frühling 2022 hat das Europäische Parlament ein Gesetz verabschiedet, mit dem die Verfügbarkeit von Fahrzeugdaten gefördert und damit ein vertrauenswürdiges Umfeld geschaffen werden soll, um deren Nutzung für die Forschung und die Schaffung innovativer neuer Dienste und Produkte zu erleichtern. Das will sich das Projekt «Caruso Dataplace» zu Nutzen machen. In das Projekt sind neben der Swiss Automotive Group (SAG) auch Firmen wie Bosch, Continental, Hella Gutmann, LKQ, Mahle, Osram und Schaeffler involviert. Weitere infos unter: caruso-dataplace.com 
Feld für switchen des Galerietyps
Bildergalerie

Kommentar hinzufügen

3 + 0 =
Lösen Sie diese einfache mathematische Aufgabe und geben das Ergebnis ein. z.B. Geben Sie für 1+3 eine 4 ein.

Kommentare